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„Schulnoten machen krank“ – Kulmbacher Arzt kritisiert Schulsystem scharf

Kopfschmerzen, Herzrasen, Schwindel:
Viele Kinder leiden, sagt Mediziner Gerald Hofner aus Neudrossenfeld. Er fordert ein Schulsystem ohne Noten.

Kopfschmerzen, Herzrasen, Schwindel: Viele Kinder leiden, sagt Mediziner Gerald Hofner aus Neudrossenfeld. Er fordert ein Schulsystem ohne Noten. Symbolbild: Patrick Pleul/dpa

Schüler in Franken bekamen am Freitag ihre Zwischenzeugnisse. Der Leistungsdruck macht viele Schüler krank. Das sagt der Neudrossenfelder Kinderarzt und Kinderkardiologe Gerald Hofner, der im Internet auf der Website derkinderarztblog.com das Schulsystem kritisiert und sich für eine notenfreie Schule ausspricht, die es speziell für Kinder bis zum zwölften Lebensjahr geben sollte.

Wie häufig werden Sie als Kinderarzt mit Problemen im Zusammenhang mit der Schule kontaktiert?
Gerald Hofner: Mehr als 20 Mal klären wir jede Woche vermeintliche Störungen im Zusammenhang mit Schulleistungen ab. Es sind viele Kinder, die mit Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Herzrasen, Schwindel oder noch intensiveren Problemen zu uns in die Praxis kommen. Zu mehr als 80 Prozent sind es Mädchen. Echte organische Befunde sind die Ausnahme.

Was sind die Ursachen?
Alles entsteht durch den Druck, der auf die Kinder einwirkt – durch den Konflikt zwischen Erfolgsstreben (das ja auch seine guten Seiten hat) und Versagensangst. Deshalb sind es auch meist sehr gute und ehrgeizige Schüler, die ich behandle.

Es sind selten die Eltern, die bewusst diesen Druck aufbauen. Er kommt aus der Schule. Nicht persönlich auf ein einziges Kind. Nicht persönlich durch den Lehrer. Es ist das System. Was den Druck auslöst, ist das sich Vergleichen. Das Messen mit anderen. Die Angst, im Leben zu versagen, wenn man nicht der oder die Beste ist.

Sie kritisieren das Notensystem?
Kinder werden bereits ab dem frühen Grundschulalter in einem System von besser und schlechter groß. Sie werden in einem Alter, in dem ihre Persönlichkeit noch gar nicht die Reife haben kann, beurteilt, teilweise eben auch abgeurteilt.Wozu dienen Noten aus Sicht der Pädagogen? Sie sollen zu Leistung anspornen. Und Kinder vergleichbar machen. Aber eben nur bezüglich der am Lehrplan orientierten Schulleistungen. Soziale Fähigkeiten, Kreativität oder Problemlösungsfähigkeiten werden weder ausreichend geschult noch besonders geprüft. Obwohl das genau die Fähigkeiten sind, die die Gesellschaft und auch die Wirtschaft brauchen.

Sind es nicht die Noten, die Schüler motivieren, die ihre Lernmotivation steigern und somit auch die Leistung fördern?
„Erlernte“ Noten täuschen über einen Mangel an für später viel wichtigeren Fertigkeiten hinweg. Erschwerend kommt hinzu, dass Noten, deren Ziel die Vergleichbarkeit ist, nicht einmal vergleichbar sind. Es ist ja belegt, dass verschiedene Lehrer verschiedene Leistungen unterschiedlich bewerten. Ganz zu schweigen von unterschiedlichen Standards in benachbarten Schulen oder Bundesländern. Alles zu Lasten der Persönlichkeitsentwicklung. Noten sind aus meiner Sicht ein Unfug. Jedenfalls im Alter bis zur Pubertät. Sie schaffen bei vielen Schülern einen falschen Wertmaßstab – und zwar offensichtlich mehr noch bei Mädchen. Noten erhöhen den Stresslevel, führen zu medizinischen Symptomen und belasten das Gesundheitssystem nicht unerheblich.

Tragen Eltern eine Mitschuld?
Es gibt praktisch keine Eltern, die ihren Kindern bewusst Schuldruck machen. Aber unbewusst und unterschwellig passiert das dennoch. Und zwar in fast allen Familien. Solange die Reaktion der Eltern dieselbe ist wie die der Schule, unterstützen sie das System und erhöhen bei den empfänglichen Kindern den Druck.

Wenn sie also etwa schlechte Noten bestrafen oder rügen. Aber auch, wenn sie gute Noten bezahlen. Mit schlechten Noten sind Kinder sowieso schon bestraft genug. Und gute Zensuren sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Noten nicht alles sind. Schon gleich gar nicht, bis aus ihrem Kind eine reife Persönlichkeit geworden ist, die sich über ihre Stärken und Schwächen bewusst ist.

Sätze wie „dafür malst du wunderschön“ oder „Einstein hatte auch Fünfer“ können Noten relativieren. Aber auch gute Noten sollten nicht überbewertet werden. Eltern sollten sich mit dem Kind freuen, aber gute Bewertungen nicht zum Zentrum des Selbstbewusstseins machen.

Sie setzten sich für eine notenfreie Schule ein.
Lehrer und Pädagogen müssen die Bedeutung von Noten abschwächen. Viele Lehrer tun das glücklicherweise sowieso. Auch ihnen ist die Benotung in der Regel ein Graus. Sie führt auch bei ihnen selbst zu Stress mit Schülern und Eltern und zu Konflikten, wenn die rechnerische Note nicht zu den wundervollen sonstigen Fertigkeiten eines Kindes passt.

Würde nicht ein pädagogisches Gutachten am Jahresende reichen, wenn ein Kind im Einzelfall Stoff wiederholen müsste, um nicht mit Lücken in die weiteren Jahre zu gehen? Oder wo soll der wichtige Unterschied sein zwischen einer Zwei oder einer Drei? Es gibt für Noten, auch unter Berücksichtigung medizinischer und entwicklungspsychologischer Erkenntnisse, im jungen Alter keine vernünftige Begründung. Wozu müssen Kinder in diesem Alter vergleichbar gemacht werden? Sie sind nicht vergleichbar.

Schule ohne Noten ist die Zukunft! Zumindest bis das Kind reif genug ist, sein Selbstbewusstsein nicht von Noten bestimmt zu sehen. Das haben andere Schulsysteme belegt, die mit weniger Druck mindestens zum selben Ergebnis kommen – aber gesünder und mit mehr langfristiger Lebensqualität.
Der Beitrag von Gerald Hofner erschien ursprünglich auf „derkinderarztblog.com“ hn

 

Quelle : https://www.infranken.de/regional/bamberg/schulnoten-machen-krank-kulmbacher-arzt-kritisiert-schulsystem-scharf;art212,3205552

Kräutermume sagt danke!