Roger E. musste hilflos mitansehen, wie ein Polizist seine achtjährige schreiende Tochter gegen ihren Willen in ein Auto verfrachtete. Foto: Klaus Winterfeld
Mittwochmittag an der Grundschule in Helbra: Eltern warten vor dem Backsteinhaus in der Schulstraße, die Hände vor Kälte in der Tasche. Plötzlich drehen sie sich um, werden unruhig, tuscheln. Roger E. (49), ein stämmiger Mann mit Dreitagebart, kommt angelaufen.
Unbegreiflich sei, was man ihm und seiner Tochter angetan habe, empört sich eine Mutter. „Ich konnte meine Tochter am Montag von hier nicht mit nach Hause nehmen“, sagt Roger E. mit leerem Blick.
Achtjährige wurde in Helbra gegen ihren Willen von der Polizei in ein Auto verfrachtet
Der Vater musste hilflos am Montag zusehen, wie seine achtjährige Nina (Name geändert) panisch nach ihm und um Hilfe schreiend gegen ihren Willen von der Polizei in ein Auto verfrachtet und zur Wohnung der Mutter gefahren wurde.
Zweieinhalb Jahre hatte Nina mit dem Vater allein gelebt, nachdem die Mutter den Haushalt verlassen hatte. Die Justiz entschied im vergangenen Jahr auf Antrag der Mutter, dass Nina bei ihr aufwachsen soll. Der Vater sagt, Nina wollte danach trotzdem nicht zur Mutter.
Als die Umsetzung des Urteils nun am Montag gegen den Willen von Vater und Tochter durchgeführt wird, kommt es zu den dramatischen Szenen auf dem Hof des Schulgeländes: Ein Gerichtsvollzieher ist mit Polizei und Jugendamt angerückt, um das Mädchen abzuholen und der Mutter zu übergeben.
Tochter von Roger E. wehrt sich mit Händen und Füßen
Die Achtjährige wehrt sich aber buchstäblich mit Händen und Füßen. „Nein“, schreit sie, ruft nach dem Papa. Die Kleine weint und hält sich an einer Strebe des Autodaches fest, damit ein Polizist sie nicht in den Wagen setzen kann. Schließlich lenkt der Beamte ein und lässt sie los.
Minuten später versucht er aber erneut, das Kind ins Auto zu setzen. Er hält Nina so, dass sie sich nun nicht festhalten kann. „Nein, nein, nein – mein Papa, bitte“, wimmert die Achtjährige. „Hilfe“, schreit sie, alleine es hilft nichts mehr. Der Polizist setzt sie diesmal auf den Rücksitz des Wagens und schließt die Tür. Das Tor der Schule geht auf, das Auto verlässt das Gelände. Darin sitzt auch die Mutter, sie ist bisher für die MZ nicht zu sprechen gewesen.

Eltern aus Helbra solidarisieren sich mit dem Vater. Foto: Klaus Winterfeld
Das, was sich laut Vater Roger rund zwei Stunden auf dem Schulgelände abspielte, will er nicht hinnehmen. Er will beweisen, dass seine Tochter gar nicht zur Mutter will. Darum hielten er und ein paar Freunde die Vollstreckung in Videos fest. Seit Dienstagabend verbreiten sich diese wie ein Lauffeuer im Internet. Tausendfach wurden die Videos aufgerufen und geteilt, unzählige Male kommentiert. Viele, die das sehen, reagieren fassungslos auf die herzzerreißenden Szenen mit der kleinen Nina.
Vorfall in Helbra: Unterstützungs-Facebookgruppe gegründet
„So eine Schweinerei, das arme Kind“, schreibt eine Frau. Viele andere Nutzer reagieren ähnlich betroffen. Wiederum andere wünschen dem Vater Kraft. Und viele wollen ihm helfen, dafür kämpfen, dass er und seine Tochter wieder zusammenkommen. Noch in der Nacht wurde eine Unterstützungs-Facebookgruppe gegründet. Schon nach wenigen Stunden hat diese Gruppe rund 15.000 Mitglieder, ein enormer Zulauf.
Initiator ist Tobias Jung, ein Familienvater aus Eisleben. Am Dienstagabend hat er das erste Video gesehen. „Da ist für mich eine Welt zusammengebrochen“, sagt Jung, der Kinder im Alter von sechs und neun Jahren hat. Er habe sofort den Kontakt zum Vater gesucht. „Wir haben eine Dreiviertelstunde telefoniert, ich habe mir alles schildern lassen.“
Und dann stand für ihn fest: „Hier muss etwas unternommen werden“, so der Eisleber, der sich wie Roger E. am Mittwoch vor der Schule in Helbra Medienvertretern gegenüber äußert. Kamera-Teams sind ins Mansfeldische gekommen, das Interesse der Öffentlichkeit ist geweckt.
Ein erwachsener Polizist, der ein Mädchen in einen Wagen zwingt – war der Einsatz verhältnismäßig? Wie ein Gerichtssprecher sagt, liegt der Vollstreckungsbeschluss vor. Dieser sei umzusetzen. „Auch unter Anwendung von unmittelbarem Zwang.“ Roger E. bezweifelt die Verhältnismäßigkeit, lässt sie anhand der Videos nun von der Polizei prüfen.
Polizei äußert sich nicht zum Vorfall in Helbra
Ein Polizeisprecher will sich zu dem Fall derzeit nicht äußern, verweist auf laufende Ermittlungen. Dass es keine leichte Situation für die Beamten gewesen sei, meinte eine Polizeisprecherin in einer ersten Reaktion am Montag. „Es war emotional sehr schwierig. Das hat die Kollegen schwer getroffen.“
Das Kind hängt an seinem Vater, wie die Videos belegen. Die Trennung der Eltern liegt zweieinhalb Jahre zurück. Aber was waren die Gründe? „Es gab Differenzen“, sagt der Vater. Hätte die Mutter nicht von heute auf morgen den gemeinsamen Haushalt verlassen, „wäre es auch so zur Trennung gekommen“. Weil die Mutter nicht zu sprechen war, kennt man bisher nur E.s Sicht, der bei Nachfragen zu den Differenzen unter anderem von einem neuen Lebensgefährten der Mutter erzählt.
Roger E. will vor allem über Nina reden. Sie habe in den vergangenen Jahren Kontakt, meist mit Hilfe von Beratungsstellen, zu der Mutter gehabt. Das Gericht habe die Kleine der Mutter gegeben, weil diese angeblich besser in der Lage sei, die Bindungen der Tochter zu beiden Elternteilen aufrechtzuerhalten und zu festigen.
„Es ist der blanke Wahnsinn“, sagt Roger E., dem nun nur der Gang zu den Behörden bleibt. Einen Termin bei der Kreisverwaltung hat er an diesem Donnerstag. Und dann wird es noch einen Termin vor dem Amtsgericht in Eisleben geben. Die Unterstützer aus der Facebook-Gruppe wollen dort demonstrieren. Wann, das dürfe er noch nicht öffentlich machen, so Tobias Jung, der die Demo angemeldet hat. Es gehe darum, dass die Kleine wieder zu ihrem Papa kommt.
Das Ringen um Nina beschäftigt Helbra
Das Ringen um Nina beschäftigt seit dem harten Behördeneingriff auf dem Schulhof den ganzen Ort. Weil die Behörden sich nicht äußern, ist unklar, warum ausgerechnet in der Schulzeit der relativ große Beamtentrupp eingreifen musste. Als Roger E. seine Tochter morgens zur Schule brachte, sei er im Treppenhaus bereits von Lehrern aufgehalten worden.
„Ich sollte das Gebäude lieber verlassen, damit ich keinen Ärger bekomme, sagte man mir.“ Ihm sei klar geworden, dass man ihm die Tochter nehmen wolle. Er habe vor der Schule gewartet, dann sei ein Streifenwagen vorgefahren, zwei weitere folgten. Was mit der Tochter im Schulhaus passierte, bekam der Vater nicht mit.
Nina wurde in ein Nebengebäude gebracht. „Die anderen Schüler mussten nach dem Unterricht im Schulhaus bleiben“, habe er von anderen Eltern erfahren. Ein Zehnjähriger bestätigt das der MZ. „Wir durften nicht auf Toilette.“ Zudem, das schildert auch seine Mutter, habe es kein Mittagessen gegeben. Der Essenslieferant sei weggeschickt worden. „Es ist unbegreiflich, was hier passierte“, sagte die Frau.
Roger E. hatte mittlerweile wieder Kontakt zu seiner Tochter, es gab ein kurzes Telefonat. Wie es ihm geht, habe sie gefragt. „Ich sagte ihr, sie soll sich keine Sorgen machen und fragte, wie es ihr geht.“ Und da habe sie wieder geweint. (mz)
– Quelle: https://www.mz-web.de/29834490 ©2018
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„Nein, nein, nein – mein Papa, bitte“, hört man in einer Videoszene ein Mädchen jammern. „Hilfe“ schreit die Kleine dann laut und zappelt mit den Füßen, während ein Polizist mit ihr auf dem Arm zu dem grauen VW geht, der auf dem Schulhof der Grundschule Helbra steht.
Sie kreischt lauthals, ruft nach ihrem Papa und weint, als der Beamte sie auf den Rücksitz des Wagens setzt. Er schließt die Tür. Das Tor der Schule geht auf. Das Auto verlässt das Gelände.
Es sind dramatische Szenen, die sich am Montagmittag an der Grundschule Helbra abgespielt haben.
Ein Gerichtsvollzieher hat mit Hilfe der Polizei und Mitarbeitern des Jugendamtes die Entscheidung des Oberlandesgerichtes durchgesetzt, dass ein achtjähriges Mädchen nicht mehr bei dem Kindesvater, sondern in Zukunft bei seiner Mutter aufwachsen soll.
Als die Vollstreckung beginnt, wird der Vater des Schulgeländes verwiesen. Es gelingt ihm jedoch über eine Mauer hinweg die Vorgänge zu filmen und seiner Tochter zuzurufen.
Mit Händen und Füßen wehrt sich das Mädchen am Montag gegenüber dem Polizeibeamten in das Auto einzusteigen. Ein erster Versuch scheitert, weil sie sich an einer Strebe des Daches festhält.
„Nein“, schreit sie unentwegt, ruft nach ihrem Papa und um Hilfe. Sie weint. „Dann geh’ ich lieber zu den ganzen Kindern“, sagt sie dann und meint damit wohl ein Heim. Die Schreie der Achtjährigen waren in der Schule und bis auf die Straße zu hören. (mz)
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„Sie haben sie mit Gewalt rausgeholt, gegen ihren Willen“, sagt Maik W. (Name geändert), der Vater des Kindes. Er ist entsetzt, wie es abgelaufen ist. Wohlwissend, dass der Gerichtsvollzieher in diesen Tagen zur Schule kommen würde, hält er sich am Montag dort auf.
Gericht spricht Mutter das Sorgerecht zu
Seit zweieinhalb Jahren lebte Maik W. mit der Tochter allein. Die Kindesmutter hatte den gemeinsamen Haushalt verlassen. In einem Gerichtsverfahren über mehrere Instanzen wurde allerdings entschieden, dass das Sorgerecht auf die Mutter übergeht.
Der Vollstreckungsbeschluss kam laut Gericht zustande, weil es dem Vater innerhalb mehrerer Monate nicht gelungen sei, seine Tochter auf die neue Situation – also den Wechsel in den Haushalt der Mutter – einzustellen.
Die freiwillige Übergabe des Kindes scheiterte aus Sicht des Gerichtes an der Haltung des Vaters. Dieser wiederum meint, mehrere Versuche zur Übergabe gemacht zu haben. Ihm zufolge konnte er seine Tochter nicht davon überzeugen, auf die Mutter zuzugehen.
Mädchen will lieber ins Heim als zur Mutter
Mit Händen und Füßen wehrt sich das Mädchen am Montag gegenüber dem Polizeibeamten in das Auto einzusteigen. Ein erster Versuch scheitert, weil sie sich an einer Strebe des Daches festhält.
„Nein“, schreit sie unentwegt, ruft nach ihrem Papa und um Hilfe. Sie weint. „Dann geh’ ich lieber zu den ganzen Kindern“, sagt sie dann und meint damit wohl ein Heim.
Auf den Videoaufnahmen des Vaters, die den Polizisten und seine Tochter zeigen, ist die Mutter nicht zu sehen. Sie soll aber vor Ort gewesen sein, war aber für die MZ nicht zu sprechen. Wie Polizeisprecherin Steffi Schwan sagt, sei den Beamten, die hier Vollzugshilfe leisteten, die Situation nicht leicht gefallen. „Es war emotional sehr schwierig. Das hat die Kollegen schwer getroffen.“
Vater soll sich gut um Tochter gekümmert haben
Die Schreie der Achtjährigen sind in der Schule und bis auf die Straße zu hören. Dort warten Eltern, die ihre Kinder abholen wollen. „Schlimm“, meint eine Mutter. Der Vater habe sich gut um die Tochter gekümmert.
Maik W. ist fix und fertig, wie er sagt. Seine Tochter wurde ihm genommen und ihr das bekannte Umfeld – ihre Tiere, die Freunde, ein Teil der Familie. „Das bricht einem das Herz“, meint seine Schwester. Wann Maik W. seine Tochter wiedersieht, weiß er nicht. Da sie nun bei der Mutter lebt, wird sie eine andere Schule besuchen. (mz)
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Sprache ist verräterisch. „Ich habe nur meine Arbeit gemacht.“ Dieser Satz markiert gerne die Abwesenheit der Eigenschaften, die Menschen zu Menschen machen. Mitgefühl zum Beispiel. Oder Verantwortungsbewusstsein. Stattdessen findet man dann meist Gehorsam und Untertanengeist. Wie in Helbra.
Die kleine gute Nachricht: Beim Einsatz von Helbra, als Behördenvertreter eine sich massiv wehrende Achtjährige aus der Schule holten, waren offenbar auch Staatsdiener mit Fingerspitzengefühl im Einsatz. Polizisten, die den Einsatz nach der Eskalation abbrechen wollten. Sie hatten den richtigen Impuls, leider hat er nichts gebracht. Es soll auf Druck der anderen Behördenvertreter wie dem Gerichtsvollzieher weitergegangen sein.
Wenn es so war, entlastet das die eingesetzten Polizisten – den Skandal macht es nur noch größer: Weil nun klar ist, dass Behördenvertreter schon vor Ort an der Verhältnismäßigkeit ihres Einsatzes zweifelten. Das ist wichtig. Es geht hier für die Öffentlichkeit ja nicht darum, ob das Kind besser zum Vater oder zur Mutter sollte – das werden die Richter hoffentlich weise anhand der Gutachten entschieden haben. Es geht vielmehr darum, dass bei der Umsetzung des Richterspruchs die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt wurde. Das Gericht wollte vielleicht das Beste für das Kind – am Ende wurde diesem Kind aber deswegen vermutlich geschadet. –
Die verantwortliche Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) reagiert schwach und bürokratisch. Vier Tage nach dem Einsatz fehlt ihr offenbar immer noch der Durchblick. Und sie zieht sich darauf zurück, dass ein Urteil eben durchgesetzt werden müsse. Als heilige der Zweck die Mittel. Bei diesem skandalösen Einsatz stinkt der Fisch vom Kopfe her. (mz)
Ministerin wirft Vater Manipulation der Öffentlichkeit vor
Landesjustizministerin Anne-Marie Keding (CDU) weist Kritik am Polizeieinsatz zum Sorgerechtsstreit von Helbra (Mansfeld-Südharz) zurück. „Das sind fürchterliche Bilder“, sagte sie der MZ mit Blick auf das Video, das den Einsatz vom Montag dokumentiert. „Man kann den Fall aber nicht allein anhand dieser Bilder beurteilen.“
Vor der Grundschule Helbra hatte die Polizei eine schreiende Achtjährige in einen Polizeiwagen gezerrt, um sie der Mutter zu übergeben. Der Vater hatte den Streit um das Aufenthaltsrecht verloren. Bildungsminister Marco Tullner (CDU) hat das Vorgehen der Behörden „extrem unsensibel“ genannt. Er wünsche sich mehr Fingerspitzengefühl, ein Schulhof sei kein geeigneter Ort, um solche Konflikte auszutragen. Keding widerspricht: „Wir kennen die Umstände nicht und wissen daher auch nicht, welche Alternativen denn zur Verfügung standen.“ Die Justizministerin wirft ihrerseits dem Vater des Kindes die Manipulation der Öffentlichkeit vor: „Das Video wirkt auf mich wie eine Inszenierung.“ Offenkundig widersetze sich der Mann einem Gerichtsurteil. „Das kann man nicht hinnehmen.“
Der Einsatz soll nun im Landtag aufgearbeitet werden. Die Justizpolitikerin Eva von Angern (Linke) kündigte an, den Fall im Rechtsausschuss zu thematisieren. Sie will klären, warum das Jugendamt dem Polizeizugriff nicht Einhalt geboten hat. „Hier wurde ein Kind in einer Partnerschaftsstreitigkeit als Waffe missbraucht. Das Jugendamt muss das Kindeswohl schützen – ich verstehe nicht, warum die Behörde das mitgemacht hat.“ (mz)
Polizei wollte Aktion in Helbra abbrechen – Gerichtsvollzieher lehnte ab
Der umstrittene Polizeieinsatz von Helbra (Mansfeld-Südharz) in einem Sorgerechtsstreit wird zum Fall für die Politik. Am Montag hatten Beamte ein schreiendes Mädchen aus einer Grundschule getragen, um es der Mutter zu übergeben. Der Vater hatte zuvor den Streit um das Aufenthaltsrecht verloren. Der Fall wird nun zusätzlich brisant, weil die Beamten den eskalierenden Einsatz nach MZ-Informationen offenbar selbst abbrechen wollten. Der Gerichtsvollzieher soll das aber abgelehnt haben.
Die Polizisten hatten zuerst im Schulgebäude versucht, die Achtjährige zum Mitkommen zu bewegen. Als das nicht gelang, soll die Einsatzführungsstelle der Polizei dem Jugendamt und dem Gerichtsvollzieher empfohlen haben, sich zurückzuziehen. Diese hätten die Bedenken jedoch nicht geteilt.
Landesjustizministerin Anne-Marie Keding (CDU) weist Kritik am Vorgehen der Behörden zurück. „Das sind fürchterliche Bilder“, sagte sie mit Blick auf ein Video, das den Einsatz dokumentiert. Von Bedenken der Polizei habe sie aber keine Kenntnis, sagte sie am Freitagnachmittag. (mz)
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Auf dem Hof der Grundschule Helbra parkt das Auto, in das die Achtjährige verfrachtet wird. Hier ein Screenshot aus dem Video, das den umstrittenen Polizei-Einsatz zeigt. Foto: MZ
Wenn eine Liebe erlischt, gar Hass an ihre Stelle tritt und zwei Getrennte noch durch ein Kind verbunden sind, kann es ausgesprochen tragisch werden – vor allem für das Kind.
Leider war das öffentlich zu besichtigen dieser Tage im Mansfelder Land, in Helbra, wo Polizisten einen Gerichtsbeschluss exekutierten: konkret eine schreiende Achtjährige gegen ihren Willen in ein Auto verfrachteten und zur Mutter schafften, vom Vater weg – und das alles auf dem Hof der Grundschule in Helbra, hörbar für Schüler und Lehrer.
Drama von Helbra: Grundlage ist psychologisches Gutachten
Die Geschichte hinter diesem öffentlichen Familien-Drama ist ein Beschluss des Oberlandesgerichts Naumburg. Demnach soll die kleine Nina (Name geändert) nicht mehr wie bisher beim Vater Roger E., sondern bei der Mutter leben.
Es sei beim „Wechsel des Kindes in den mütterlichen Haushalt am ehesten damit zu rechnen, dass Nina die für sie in ihrer Entwicklung bedeutsamen Bindungen zu beiden Elternteilen aufrechterhalten bzw. erneut festigen kann“.
Grundlage des Richterspruchs ist ein psychologisches Gutachten über Kind und Eltern. Darin hatte die Psychologin nach Gesprächen mit den drei Beteiligten festgestellt, dass die Kindsmutter am ehesten in der Lage sei, „die Bindung an beide Elternteile zu tolerieren und aufrecht zu erhalten“.
Um das nachvollziehen zu können, muss man die Geschichte der zerrütteten Familie nachzeichnen. Das kann man anhand des psychologischen Gutachtens: Demnach hatten sich Vater und Mutter 2015 getrennt, die Mutter zog aus dem gemeinsamen Haushalt aus, sie hatte einen neuen Lebensgefährten gefunden.
Nach der unsauberen, nicht aufgearbeiteten Trennung blieb das Kind beim verlassenen Ehemann. Das Ex-Paar blieb fortan verbunden durch das Kind – und die gegenseitige Abneigung. Die ist so heftig, dass sich beide gegenseitig mit Vorwürfen überziehen.
Sie sagt, er habe die Mutter nach der Entdeckung der Beziehung zu einem anderen Mann verprügelt. Dafür gibt es keinen Beleg, Roger E. weist das zurück – und kontert, sie wolle ihn ins Gefängnis bringen. Nüchtern-sachlich nennen Psychologen das einen Konflikt auf der „Paarebene“.
Auf einer anderen hat das getrennte Duo eigentlich einen anderen Job: gemeinsam für Nina zu sorgen – das ist die „Elternebene“.
Drama von Helbra: Zwei Gerichte berufen sich auf Psychologin
„Beide Elternteile nutzen offensichtlich verschiedene Gesprächsmöglichkeiten um negative, zum Teil diffamierende Äußerungen über den jeweils anderen Elternteil zu tätigen“, stellt die Gutachterin fest.
Während der Kindsvater dies „sowohl über die Persönlichkeit der Kindsmutter, ihr Verhalten in der Vergangenheit sowie über ihre früheren und erst recht aktuellen mütterlichen Kompetenzen“ tue, klammere die Kindsmutter die „väterlichen Kompetenzen“ des Roger E. dabei aus.
„Sie betont dabei die Bedeutung des Kindsvaters für ihre Tochter wie auch seine Fürsorge- und Versorgungsfähigkeiten“, so die Einschätzung der Psychologin.
Im Klartext: Schlecht über den jeweils anderen sprechen beide, allein die Mutter soll in der Lage sein, das nicht vor dem Kind zu tun oder Nina zumindest deswegen nicht zu beeinflussen. In der Sprache der Gutachterin: „Damit ist die Kindsmutter am ehesten in der Lage, die Paar- und Elternebene zu trennen.“
Diese Einschätzung haben sich sowohl das Amtsgericht Eisleben in erster als auch das OLG in zweiter Instanz zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht, das Kind zur Mutter zu geben.
Das wird unterfüttert in einem weiteren Gutachten, das von der selben Psychologin im Auftrag des Gerichts einige Monate später ergänzend angefertigt wurde. Darin steht: So, wie sich der Vater verhalten hat, führe das nicht dazu, dass eine Beziehung zur Mutter aufgebaut werden könne.
Er vermittle seiner Tochter „offenbar nicht positive Aspekte der Mutterfigur“. Gleichwohl wird mit hoher Wahrscheinlich davon ausgegangen, dass der Wechsel zur Mutter eine „erhebliche emotionale und damit psychische Destabilisierung“ für das Mädchen bedeuten wird. Therapeutische Unterstützung sei nötig.
Gericht sah die „Gefahr der Entfremdung“ zwischen Mutter und Tochter
Roger E. weist vehement zurück, seine Tochter massiv beeinflusst zu haben, damit diese eine enorme Abneigung gegen die Mutter entwickelt. Er berichtet von Bemühungen, die er mit Hilfe von Ämtern und Beratungsstellen unternommen habe, um den Kontakt zwischen Mutter und Tochter herzustellen. „Dass ich es versucht habe, das kann ich auch belegen“, wird er deutlich und zeigt den Bericht einer Beratungsstelle im Saalekreis. Dort war er zwischen November 2017 und Januar 2018 – also nachdem der Vollstreckungsbeschluss zur Kindesherausgabe ergangen war – mehrfach. Die Mutter war nicht dabei.
Das Gericht sah die „Gefahr der Entfremdung“ zwischen Mutter und Tochter. Nina soll unter anderem geäußert haben, dass sie ihre Mutter vermisse. Das Gericht hält es auch darum für dringend notwendig, dass die Mutter fester Bestandteil im Leben des Mädchens wird. „Das kann nur durch einen Wechsel in den mütterlichen Haushalt erfolgen.“
Versuche der MZ, mit der Mutter zu sprechen, scheiterten bislang. Wie ihre Anwältin auf MZ-Anfrage ausrichten lässt, wird derzeit kein Statement abgegeben. Der Verfahrensbeistand von Nina – eine Anwältin, die die Interessen des Kindes vertritt -, war für die MZ am Donnerstag nicht zu erreichen. Aus ihrem Büro hieß es, dass sie sich im Krankenstand befindet. Auch der Gerichtsvollzieher, der am Montag mit vor Ort war, wollte sich gegenüber der MZ nicht äußern.
Vater soll mit Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft gedroht haben
Fakt ist: Die Herausgabe des Kindes sollte eigentlich in der Wohnung des Vaters stattfinden. Doch den in Aussicht gestellten Termin am 1. März setzte der Gerichtsvollzieher wenige Tage zuvor ab. Das teilte er Roger E. schriftlich mit. Auslöser war ein früheres Gespräch zwischen beiden, bei dem der Vater „gegen alle im Verfahren der Kindesherausgabe beteiligten Personen mit Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft“ gedroht habe. Das der Vater die Übergabe des Kindes an die Mutter vor Ort vorbehaltlos unterstützen würde, konnte der Gerichtsvollzieher aus dessen Aussagen und Verhalten nicht erkennen. So passierte es an der Schule, in der Schulöffentlichkeit. Warum „Drohungen mit dem Staatsanwalt“ den Einsatz mehrerer Polizeiwagen nötig machen, ist unklar.
Die Art, wie die Achtjährige aus der Grundschule geholt und in ein Auto verfrachtet wurde, wie sie um Hilfe und nach ihrem Papa rief, hat große Empörung ausgelöst. Es ist ein Drama, das vor aller Augen stattfand, vielen nahe geht. Und auch in der Schule nachwirkt – schließlich hörten Kinder die Schreie der Schulkameradin. Schulpsychologen seien in Kontakt mit der Schule, heißt es vom Bildungsministerium. Die Klassenlehrer würden zudem die Ereignisse mit den Schülern aufarbeiten. Jedoch nicht mit Nina, sie besucht jetzt eine andere Schule.(mz)
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Halle (Saale) –
Wenn man das Video vom Polizeieinsatz in Helbra gesehen hat, gibt es keine zwei Meinungen. Das war total überzogen.
Mehrere Streifenwagen, Gerichtsvollzieher und Jugendamt: Der Staat ist mit einem Aufgebot aufgelaufen, als gelte es einen bewaffneten „Reichsbürger“ abzuholen – und nicht eine unschuldige Achtjährige. Und die weinende Kleine wurde gegen ihren Willen von einem Beamten weggetragen, „unmittelbarer Zwang“ nennt sich sowas im Beamtendeutsch.
Es ist legitim, wenn Beamte zur eigenen Sicherheit Verstärkung anfordern – die Behörden bleiben aber den Nachweis schuldig, dass es eine Bedrohung gab oder hätte geben können. Unabhängig davon sind auch Ort und Zeit des Einsatzes inakzeptabel: während der Schulzeit in der Grundschule. Nicht nur die Achtjährige, auch andere Kinder dürften beeinträchtigt worden sein. Beispielhaft die Reaktion der Direktorin: „Mir bricht das Herz!“
Der Polizeieinsatz ist ein Skandal, und er muss Konsequenzen haben. Wer weiß, wie oft so etwas unbekannt bleibt. Die Richter mögen mit ihrem Urteil vor allem das Wohl des Kindes im Sinn gehabt haben. Eine Achtjährige überfallartig aus ihrem gewohnten Umfeld zu reißen, ist alles – aber bestimmt nicht gut für dieses Kind. (mz)
Den Autor erreichen Sie unter: kai.gauselmann@mz-web.de
Kräutermume sagt danke!
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Eigener Kommentar :
Seit WANN ist EIN KIND EINE SACHE, DIE VOLLSTRECKT WIRD???? KINDESWOHL??? Wohl kaum!