In Köln implodiert die deutsche Flüchtlingspolitik. Ob Merkel korrigiert, ist offen. Lieber geht sie wohl unter.
«Ich bin Syrer. Frau Merkel hat mich eingeladen.»
Von Markus Somm

Vielleicht ist das der Anfang vom Ende ihrer Kanzlerschaft. Angela Merkel hat Menschen gerufen – und es kamen auch Diebe, sexuelle Belästiger und Vergewaltiger. Vor gut einer Woche an Silvester haben gegen tausend Männer vor dem Dom in Köln randaliert und gesoffen, gestohlen und Frauen gejagt. Seither kommt Deutschland nicht mehr zur Ruhe. Alles, wovor Skeptiker der Merkel’schen Flüchtlingspolitik gewarnt hatten, schien sich in einer einzigen Nacht bestätigt zu haben. Je mehr wir erfahren, desto deutlicher zeichnet sich ab, dass geschehen ist, was gemäss behördlicher Auffassung nicht sein darf: Die meisten dieser Männer ausser Rand und Band stammen wohl aus dem Ausland, aus Nordafrika womöglich die einen, viele aber auch aus Syrien, und manche kamen als Flüchtlinge erst vor kurzer Zeit in Deutschland an.
Das ist beunruhigend genug. Was eine entsetzte Öffentlichkeit seither aber erleben musste, hat die Sache wohl auf eine Art und Weise verschlimmert, dass selbst die Deutschen, die ihren Obrigkeiten gemeinhin sehr lange zu vertrauen pflegen, erschüttert sind. «Wurden wir über den Sex-Mob belogen?», schreibt die Bild-Zeitung, das auflagenstärkste, brutalste Blatt der Bundesrepublik – und ganz gleich, ob es sich um bewusste Irreführungen oder Informationspannen seitens der Behörden handelte, der deutsche Staat, dieses jahrhundertealte Kunstwerk der Pflichterfüllung und Effizienz, scheint seinen Aufgaben nicht mehr gewachsen zu sein. Besonders dessen Eliten, die Politiker und Chefbeamten, scheitern sensationell.
Ahnungslose Behörden?
Noch am Dienstag sagte die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos): «Es ist unzulässig, über eine Herkunft zu sprechen. Es gibt keinen Hinweis, dass es sich um Menschen handelt, die bei uns als Flüchtlinge untergekommen sind.» Und der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers (SPD), der neben ihr sass, gab an, man habe keine «Erkenntnisse», wer die Täter gewesen seien. Offensichtlich war beides falsch.
Denn schon wenige Tage später veröffentlichten verschiedene Zeitungen interne Berichte der Polizei, die ihnen zugespielt worden waren. Aus diesen ging zweifelsfrei hervor, dass die Polizei schon am Abend des Geschehens Bescheid gewusst hatte. Die Berichte waren kurz nach dem Einsatz entstanden. «Bei durchgeführten Personalienfeststellungen», hiess es in einem Protokoll, «konnte sich der überwiegende Teil der Personen lediglich mit dem Registrierungsbeleg als Asylsuchende des Bamf (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) ausweisen, Ausweispapiere lagen in der Regel nicht vor.»
Auch ein leitender Polizist der Bundespolizei hatte einen Bericht über den Einsatz seiner Leute verfasst. Es ist ein Protokoll des Grauens:
«Schon bei der Anfahrt zur Dienststelle an den HBF Köln wurden wir von aufgeregten Bürgern mit weinenden und geschockten Kindern über die Zustände im und um den Bahnhof informiert. Am Vorplatz (Dompropst-Ketzer-Str.) angekommen, wurden unsere noch nicht abgestellten Fahrzeuge mit Böllern beworfen. Am Vorplatz und der Domtreppe befanden sich einige Tausend meist männliche Personen mit Migrationshintergrund, die Feuerwerkskörper jeglicher Art und Flaschen wahllos in die Menschenmenge feuerten bzw. warfen.»
Als die Beamten einzelne Täter herausgriffen, um ihre Personalien zu überprüfen, sagte einer der Verdächtigen: «Ich bin Syrer, ihr müsst mich freundlich behandeln! Frau Merkel hat mich eingeladen.» Andere, so hielt der Einsatzleiter der Bundespolizei fest, zerrissen vor den Augen der Beamten ihre Aufenthaltspapiere «mit einem Grinsen im Gesicht» und riefen: «Ihr könnt mir nix, hole mir morgen einen neuen.»
Von den Medien unter dem Schutz der Anonymität befragt, bestätigten verschiedene Kölner Polizisten die internen Protokolle. Einer erzählte dem Kölner Express, seine Gruppe habe in jener Nacht 15 vorläufige Festnahmen vorgenommen. Diese Personen hätten sich «definitiv erst wenige Tage oder Wochen» in Deutschland aufgehalten: «Von diesen Personen waren 14 aus Syrien und eine aus Afghanistan. Das ist die Wahrheit. Auch wenn sie schmerzt.» Ein anderer Polizist erzählte: «Ich habe junge Frauen weinend neben mir gehabt, die keinen Slip mehr trugen, nachdem die Meute sie ausgespuckt hatte. Das waren Bilder, die mich schockiert haben und die wir erst mal verarbeiten mussten. Abgesehen davon, dass wir damit beschäftigt waren, uns selbst zu schützen, da wir massiv angegriffen wurden.» Nur mit Mühe konnten weitere Vergewaltigungen auf offener Strasse verhindert werden. Zur Stunde liegen zwei entsprechende Anzeigen vor. Im Protokoll der Bundespolizei heisst es: «Im Einsatzverlauf erschienen zahlreiche weinende und schockierte Frauen/Mädchen bei den eingesetzten Beamten und schilderten sex. Übergriffe durch mehrere männliche Migranten/-gruppen. Eine Identifizierung war leider nicht mehr möglich. Die Einsatzkräfte konnten nicht allen Ereignissen, Übergriffen, Straftaten usw. Herr werden, dafür waren es einfach zu viele zur gleichen Zeit.»
Helden in Unterzahl
Tatsächlich legten die Täter eine bestürzende Gewaltbereitschaft an den Tag. Der leitende Bundespolizist schrieb: «Massnahmen der Kräfte begegneten einer Respektlosigkeit, wie ich sie in 29 Dienstjahren noch nicht erlebt habe.» Die Polizei war heillos überfordert. Man bemühte sich zwar redlich, doch es waren Helden der Unterzahl am Werk, denn obwohl die Einsatzleiter mehrere Male bei ihren Vorgesetzten in den warmen Büros um Verstärkung ersucht hatten, war ihnen diese nicht gewährt worden; die Beamten gingen an die «Leistungsgrenze», halfen und trösteten, schützten und setzten fest, dennoch kam es kaum zu Verhaftungen, weil es am Transport der Gefangenen haperte. Frustration breitete sich aus. Der Bundespolizist notierte: «Die Einsatzkräfte absolvierten den ganzen Einsatz in schwerer Schutzausstattung und behelmt von 21.45 Uhr bis 07.30 Uhr, ohne die Leistungsbereitschaft und den Leistungswillen zu verlieren. Diese chaotische und beschämende Situation in dieser Silvesternacht führte zu einer zusätzlichen Motivation der (…) Einsatzkräfte.»
Am Tag darauf, dem 1. Januar, verschickte die Kölner Polizei um neun Uhr morgens eine Pressemitteilung mit der Überschrift: «Feiern weitgehend friedlich». Darauf angesprochen, gab der Polizeipräsident an, die Pressesprecherin habe am Neujahrsmorgen noch nichts von den «in Rede stehenden Vorkommnissen» gewusst. Mag sein. Trotzdem hielt es der Polizeipräsident nicht für nötig, eine Korrektur zu versenden, nachdem er mehr erfahren hatte. Am Freitag wurde er in den einstweiligen Ruhestand versetzt.
Wer hat Mut?
Doch natürlich geht es nicht um einen unfähigen Polizeipräsidenten. Auch um die Oberbürgermeisterin, sollte sie politisch das Schlamassel überleben, kümmern sich nur wenige. Es geht um Angela Merkel. Das spüren alle. Sie steht in der Verantwortung. Deshalb tun sich die Behörden so schwer, den Bürgern die Wahrheit zuzumuten. Denn wer hat am Ende zugelassen, dass der deutsche Staat die Kontrolle über die Zuwanderung verlor? «Wir schaffen das», sagte Merkel im vergangenen Herbst, als sie den halben Nahen Osten nach Europa einlud, was keine zuversichtliche, mutige Aussage war, auch wenn sie wohl so gemeint war, sondern eine Kapitulation. Statt wahllos die Grenzen zu öffnen, wäre die schwierigere und mutigere Tat gewesen, darauf zu bestehen, dass man echte, bedrohte Flüchtlinge von unechten scheiden muss, auch wenn es im Einzelfall wehtut. Ebenso mutiger und ehrlicher wäre es gewesen, zuzugeben, dass auch ein wohlmeinendes Deutschland nicht unbegrenzt Menschen aus sehr fremden Kulturen absorbieren kann. Integration ist auch eine Frage der Zahl. Doch nach wie vor will die Bundeskanzlerin nichts von einer Obergrenze wissen. Ich frage mich, was mich mehr erschüttern soll: die Sturheit der Verzweifelten, die sich nicht belehren lässt, oder die Realitätsflucht, auf der sie sich längst befindet?
Was Angela Merkel im vergangenen Herbst angestossen hat, dürfte für ganz Europa Folgen zeitigen, die sich nur mehr schwer rückgängig machen lassen. Andere fulminante Fehlleistungen Merkels, wie etwa in der Euro-Krise, erscheinen in diesem Licht von untergeordneter Tragweite. Ein Euro, auch wenn es heikel scheint, lässt sich irgendwann sogar beseitigen, sollte er weiterhin Südeuropa verwüsten. Selbst eine gedankenlose Energiewende, wie sie ebenfalls Merkel in die Wege geleitet hatte, lässt sich korrigieren oder ertragen. Doch Millionen von Menschen, denen man ein besseres Leben in Europa vorgegaukelt hat, und die sich irgendwann enttäuscht von uns abwenden, weil es anspruchsvoll ist, im Westen eine neue Heimat zu finden, in einer Kultur, die sie oft nicht richtig verstehen, wenn sie sie überhaupt schätzen: Das ist eine Politik, die man nicht so leicht ungeschehen machen kann. Diese Menschen bleiben hier – ob sie sich nun integrieren und unseren Werten und Gepflogenheiten anpassen oder nicht. Köln war nur ein Anfang. markus.somm@baz.ch
Quelle : http://verlag.baz.ch/artikel/?objectid=FAB68AA6-A416-4EE3-8E2308B8AA1F1C47